Die Geschichte von Zahra Gholamhosseini zeigt eindrucksvoll, wie ein selbstbestimmtes Leben in einem fremden Land gelingen kann. Vor neun Jahren kam sie aus Afghanistan nach Deutschland. Heute studiert die 34-Jährige Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin und unterstützt ehrenamtlich andere Frauen dabei, ihre Ziele zu verwirklichen.
Zunächst allein, ohne ihren Mann und mit zwei kleinen Kindern, meisterte Zahra viele Hürden. Als sie im Dezember 2011 nach einer langen Flucht über Griechenland in Brandenburg ankam, war sie verzweifelt. Die damals 24-jährige verstand die neue Sprache nicht und musste alle Entscheidungen allein treffen. Für sich, ihren Sohn und ihre Tochter, acht und drei Jahre alt. Ihr Mann steckte in Griechenland fest, da er die Schleuser nicht bezahlen konnte. Ein Jahr lang musste sie auf ihn warten. Eine schwere Zeit.
Mit dem positiven Asylbescheid eröffneten sich für Zahra neue Perspektiven und Chancen. Im Integrationskurs lernte sie deutsch und vieles über das neue Land, in dem sie nun lebte und das so anders war als ihre Heimat. Sie sog das neue Wissen auf, lernte schnell und bestand auch den berufsbezogenen Kurs als Voraussetzung für eine Ausbildung.
„Das hatte ich immer als Ziel vor Augen, um eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben“, erinnert sie sich. In dieser herausfordernden Zeit begann sie, an ihrem Wohnort Senftenberg ehrenamtlich bei der Migrationsberatung des Diakonischen Werkes zu arbeiten. Ihr Wunsch, anderen zu helfen, gab ihr selbst die Kraft, ihre Träume zu verwirklichen.
Monatelang pendelte sie sechs Stunden zur Schule
Zahra wollte sich weiterbilden, das Abitur machen und studieren. Mithilfe einer Anwältin meldete sie sich in Berlin für die 9. Klasse an und pendelte monatelang jeden Tag sechs Stunden zur Schule. Mit ihrer Anwältin kämpfte sie weiter, bis sie die Erlaubnis erhielt, Anfang 2016 mit ihrer Familie nach Berlin umzuziehen. Als Abiturientin, Ehefrau und Mutter von zwei Kindern war es schon in der alltäglichen Lebenssituation nicht leicht, das Abitur zu bestehen. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und der Einführung der Einschränkungen galt für die Kinder Homeschooling. „Ich musste mich für die ganze Familie mit den jeweiligen neuen Situationen auseinandersetzen, auftretende Probleme abfedern und parallel mein Abi bestehen“, erzählt Zahra. Mit hoher Motivation und viel Konzentration meisterte sie auch diese Herausforderung.
In Berlin begann sie – wie zuvor in Brandenburg – andere Frauen zu unterstützen, lernte verschiedene Einrichtungen in Potsdam und Berlin kennen. Wie den Verein Flamingo, ein Netzwerk für geflüchtete Frauen und Kinder. Seit 2018 begleitet Zahra als sogenannte Sprachmittlerin Frauen, die kein oder kaum Deutsch können, bei Behördengängen, zur Rechts- und zur psychologischen Beratung sowie zu Gerichtsterminen. „Mein Berufsziel Sozialarbeiterin hängt sehr viel mit meinen eigenen Lebenserfahrungen, aber auch mit den sehr vielfältigen ehrenamtlichen Tätigkeiten bei Flamingo zusammen, die mich dazu motiviert haben“, so Zahra.
Das Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein
Die Studentin kommt gerne in den Heilkräutergarten „Hevrin Khalaf“, ein Projekt des Vereins. In Berlin-Neukölln ist auf insgesamt 500 Quadratmeter ein kleines Kräuter-Paradies entstanden – und ein interkultureller Ort, wo Frauen mit alten, überlieferten Rezepten ökologisch nachhaltige Tees, Öle und Cremes herstellen. Hier lebt das Ziel der Namensgeberin Hevrin Khalaf weiter, einen Treffpunkt zu schaffen, an dem Menschen verschiedener Religionen und Herkunft friedlich zusammenkommen. Sie selbst kann nicht mehr aktiv dazu beitragen. 2019 wurde die kurdische Politikerin im Zuge der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien von türkeitreuen Milizen getötet.
Für Zahra ist der Heilkräutergarten ein besonderer Ort, an dem sie sich sicher und wohlfühlt, gemeinsam mit anderen Frauen den Garten bewirtschaftet und eine gute Zeit hat. „Ich fühle mich jetzt als eine Frau, die sehr stark ist und in der Lage, anderen Personen und besonders Frauen zu helfen. Ich habe das Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein und freue mich sehr darauf, mich weiter einzubringen“. Zahra blickt optimistisch und stolz in die Zukunft. Das neue Semester ist gut für sie gestartet – mit einem Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung.